18.01.2024

Dieselskandal: Erneute Niederlage für Kraftfahrtbundesamt und VW

© Getty Images/iStockphoto

  • Thermofenster bei weiteren 62 Diesel-Pkw-Modellen von Volkswagen unzulässig
  • Nachrüstung oder Stilllegung von Millionen Autos droht
  • Politik könnte Millionen Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen

 

Berlin (ACE) – Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat vor Gericht erneut gegen das Kraftfahrt-Bundesamt gewonnen. Vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig ging es gestern erneut um die Frage, ob eine Abschalteinrichtung, welche die Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen, die überwiegend im Jahr erreicht werden, herunterregelt (sog. Thermofenster), rechtswidrig ist. Betroffen sind in diesem Verfahren 62 Diesel-Pkw-Modelle von Volkswagen, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) vor Jahren genehmigte. Bereits vor einem Jahr wurde die Abschalteinrichtung von Modellen der Baureihe VW Golf der Abgasstufe Euro 5 mit dem Motor EA189 für rechtswidrig erklärt. Auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wie der ACE, Europas Mobilitätsbegleiter, erwartete, wurden nun auch im gestrigen Urteil die Abschalteinrichtungen für unzulässig erklärt. Noch kann das KBA gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, werden die erteilten Freigabeentscheide des KBA endgültig rechtswidrig und müssen zurückgenommen werden.

 

Was bedeutet das für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Sollten die weiteren Instanzen rechtskräftig feststellen, dass die Typgenehmigung nicht hätte erteilt werden dürfen, hätte dies weitreichende Konsequenzen für Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Rücknahme der Freigabeentscheide bzw. daraus resultierend eine Rücknahme der Typgenehmigung, würde bedeuten, dass alle betroffenen Pkw entweder nachgerüstet oder stillgelegt werden müssten. Dies würde Millionen von Pkw betreffen. Allerdings hat das KBA bereits angekündigt Rechtsmittel einlegen zu wollen.

Auch aus zivilrechtlicher Sicht könnte das Urteil Auswirkungen haben. Sollte es zur Rücknahme der Typgenehmigung kommen, ist fraglich, ob die neue BGH-Rechtsprechung zum Differenzschaden bei Pkw mit Abschalteinrichtung haltbar ist. Demnach ist für Betroffene ein Schadensersatz als Wertverlust des Pkw von bis zu 15 Prozent möglich, jedoch unter Anrechnung des Nutzungsvorteils. Dies ist häufig ein Nullsummenspiel. Müssten die betroffenen Pkw stillgelegt oder nachgerüstet werden, hätte dies einen erheblichen Wertverlust deutlich über 15 Prozent zur Folge, sodass der vom BGH zugesprochene Schadenersatz den tatsächlichen Schaden nicht deckt.

Bereits am 20. Februar 2023 entschied das VG Schleswig, dass eine Abschalteinrichtung in Form eines Thermofenster rechtswidrig ist. Da Abschalteinrichtungen, die bei Durchschnittstemperaturen in Nordeuropa aktiv sind, überwiegend die die Abgasreinigung aussetzen oder herunterregeln. Dieses Urteil erging nach Vorlage des VG Schleswig an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Daraus folgt: Eine Typgenehmigung des KBA hätte nicht erteilt werden dürfen. Dies betraf Abschalteinrichtungen eines VW Golf der Abgasstufe Euro 5 mit dem Motor EA189. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

 

Politik lässt Betroffene im Stich

Bereits im Februar letzten Jahres forderte die DUH ein Einlenken der Politik. Es wäre nicht nötig, alle Instanzen zu durchlaufen. Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing kann das KBA im Rahmen der Fachaufsicht anweisen, das Urteil zu akzeptieren und damit amtlich die Rückrufe aller betroffenen Pkw und die Nachrüstung oder Stilllegung mit Entschädigung der Kunden auf Kosten der Autobauer in die Wege leiten.

Der ACE äußert ebenfalls Bedenken. Der EuGH hat bereits festgestellt, dass Abschalteinrichtungen wie die von VW und anderen Herstellern rechtswidrig sind, sodass aufgrund der europarechtswidrigen Erteilung der Typgenehmigung eine Stilllegung der Fahrzeuge droht. Der BGH sah diese Gefahr nicht und entwickelte die Differenzschadenhypothese. Dies wurde bereits im Sommer vom ACE kritisiert. Das es auch anders geht, zeigt der Österreichische Obergerichtshof: Dieser hat in Anwendung des Urteils des EuGH einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages unter Anrechnung der Nutzungsvorteile bejaht.

Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen endlich Gewissheit, ob sie ihr Fahrzeug bedenkenlos nutzen können oder eine angemessene Entschädigung erhalten. Eine solche Klarheit könnte dazu beitragen, zumindest einen Teil des Diesel-Skandals abzuschließen.

 

Weitere Informationen:

>> ACE kritisiert BGH-Pläne zum „mittleren Schadensersatz“

>> ACE hält Staatshaftung für denkbar

 

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