26.06.2023

Abgasskandal: ACE enttäuscht von BGH-Urteil – Erwartungen an Verbraucherschutz nicht erfüllt

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Berlin (ACE) – Mit der heutigen Urteilsverkündung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rahmen des Abgasskandals um illegale Abschalteinrichtungen steigt nun für Geschädigte die Aussicht auf Schadensersatz. Dabei ist der BGH dem EuGH teilweise gefolgt, der bereits im März urteilte, dass fahrlässiges Handeln, etwa durch den Einbau von unzulässigen temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen, also Thermofenstern, ausreichend ist. Erfreulicherweise hat der BGH außerdem entschieden, dass der Hersteller nachweisen muss, nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt zu haben. Aus Sicht des ACE, Europas Mobilitätsbegleiter, ist die Höhe des Schadensersatzes von maximal 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises völlig unzureichend. Eine vollständige Rückabwicklung, wie sie in Österreich möglich ist, wäre im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher wünschenswert gewesen.

 

Großer Richtungswechsel mit geringer Wirkung

Der BGH sah bisher Thermofenster nicht als vorsätzliche und bewusste Täuschung an und hat deren Einbau dementsprechend nicht als Grund für Schadenersatz anerkannt, nachdem das KBA eine Typengenehmigung in Kenntnis des Thermofensters erteilt hat. Der ACE begrüßt, dass der BGH mit dem heutigen Urteil teilweise eingelenkt hat: Autofahrerinnen und Autofahrer können nun einen finanziellen Ausgleich erwarten, wenn sie unwissentlich ein Auto mit einem im Motor verbauten Thermofenster gekauft haben. Ein Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich dadurch allerdings nicht automatisch. Nun ist es an den unteren Instanzen, die Vielzahl der technischen Varianten zu bewerten und einzuschätzen, ob das jeweiligen Thermofenster illegal war oder doch dem tatsächlichen Schutz des Motors diente.

 

Höhe des Schadensersatzes zu gering

Der erhoffte große Schadensersatz, also die Rückabwicklung des Kaufvertrages, soll laut BGH bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung möglich sein. Für die fahrlässige Handlungsweise führt der BGH hingegen den mittleren Schadensersatz ein: Dieser beträgt mindestens 5 Prozent und maximal 15 Prozent und wird in das richterliche Ermessen gestellt. Der ACE ist mit dieser abgeschwächten Form des Schadensersatzes nicht zufrieden und hatte eine verbraucherfreundlichere Lösung gefordert: Getäuschte Käuferinnen und Käufer sollten selbst entscheiden können, ob sie das manipulierte Fahrzeug überhaupt behalten möchten. Schließlich ist davon auszugehen, dass niemand wissentlich einen manipulierten Neuwagen gekauft hätte. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags unter Anrechnung des Nutzungsvorteils wie es etwa in Österreich möglich ist, wäre im Sinne des Verbraucherschutzes gewesen. Positiv zu erwähnen ist, dass die Beweislast für ein Verschulden nunmehr nicht länger bei dem Kläger oder der Klägerin liegt, sondern es am Hersteller ist, sich selbst zu entlasten.  

 

Des Weiteren würde eine Rückabwicklung auch dem Umweltschutz dienen. So würden die betroffenen Fahrzeuge mit mangelhafter Abgasreinigung über die Verkäufer an die Hersteller zurückgehen und könnten aus dem Verkehr gezogen oder nachgerüstet werden. Mit dem Urteil des BGH ist nicht gewährleistet, dass die betroffenen Fahrzeuge umgerüstet werden. Ob es eine Verpflichtung zur Nachrüstung geben wird, ist aktuell noch unklar. Das haben die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Schleswig geurteilt, dass die durch das KBA erteilte Typengenehmigung nur erhalten bleibt, wenn eine Nachrüstung erfolgt. Der ACE begrüßt dieses Vorgehen, da so die Hersteller angehalten sind, mangelhafte Fahrzeuge nachzubessern und einem Entzug der Typengenehmigung zu entgehen.

 

ACE erwartet neue Klagewelle

Christian Grotz, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Stoll & Sauer, über das Urteil: „Der BGH folgt dem EuGH und ebnet den Weg für geschädigte Dieselkunden. Abschalteinrichtungen wurden in fast allen Dieselfahrzeugen eingesetzt. Die Folge können Nachrüstungen oder im schlimmsten Fall sogar Stilllegungen sein. Betroffene Kunden können sich nun mit Hilfe des BGH schadlos halten. Allein für die Gefahr der Betriebsuntersagung der Fahrzeuge hat der BGH Schadensersatz von bis zu 15 Prozent des Kaufpreises bestätigt. Sollten darüber hinaus tatsächlich Schäden wie teure Nachrüstungen oder eben eine Stilllegung durchgeführt werden, so muss nach unserer festen Überzeugung der Hersteller auch dafür haften.”

 

Das heute ergangene Urteil könnte eine neue Klagewelle auslösen. Das so genannte Thermofenster gehört bei den meisten Herstellern wie Volkswagen, Audi, Mercedes, BMW, Opel und Fiat zum Industriestandard. Wer von einem dieser Hersteller im Jahr 2013 oder später ein Fahrzeug mit illegaler Abschalteinrichtung erworben hat, sollte sich anwaltliche Unterstützung suchen, um mögliche Schadensersatzansprüche zu ermitteln und geltend zu machen. Sofern das Thermofenster überwiegend zu einer Reduzierung oder Vermeidung der Abgasreinigung führt, kann dies eine nicht genehmigungsfähige illegale Abschalteinrichtung sein. Eine juristische Ersteinschätzung ist für ACE-Mitglieder bei einem ACE-Vertrauensanwalt oder einer ACE-Vertrauensanwältin kostenfrei möglich.

 

Weiterführende Informationen

>> Aktuelle Entwicklungen im Abgasskandal

>> Betroffene Fahrzeuge der einzelnen Marken

>> Anwaltliche Unterstützung über ACE-Vertrauensanwälte oder unseren Partner die Kanzlei Stoll & Sauer

 

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